02.11.2009 - Kritische Fragen zum Einsatz der Balanced Scorecard Methode im Messe-/Veranstaltungswesen

Die Zeitschrift CIM führte ein Interview mit Prof. Hartleben, Geschäftsführer der IRKU: GmbH & Co.KG zum Thema Messe-Return-on-Investment (ROI). Dabei wurde insbesondere der Einsatz der Balanced Scorecard Methode im Messe-/ Veranstaltungswesen kritisch hinterfragt. Hier das Interview:

1. Unter Ihrer Federführung hat der „Branchenübergreifende Messetreff“ (BÜM) den „Exhibition Promoter“ entwickelt. Wie funktioniert er?
Zunächst wird die Balanced Scorecard (Zielsystem, Leistungskriterien, Zielwerte und Grafikanzeigen) z.B. für ein Messeprojekt inhaltlich erarbeitet. Anschließend werden die Inhalte dann in eine sich schrittweise aufbauende (und damit weitgehend intuitive) Eingabemaske des Exhibition Promotor Applikation eingegeben. Das dauert selbst für ein komplexes, sehr großes Messeprojekt nicht länger als vielleicht 2 Stunden und kann – nach dem ersten Mal – ohne Weiteres auch durch Teamassistenz/Sekretariat/Praktikant etc. vorgenommen werden. Im weiteren Projektverlauf werden dann in das Tool nur noch die für die Überprüfung der Ziele erforderlichen Istwerte eingegeben, sobald diese gemessen/festgestellt wurden. Bei größeren Scorecards reden wir da vielleicht mal von 20 – 30 Werten/Projekt/Leistungskennziffern, z.B. Anzahl gewonnener Leads, Budgeteinhaltung oder Besucherzufriedenheit mit dem Standbesuch, um einmal 3 Beispiele zu nennen. Das ist alles. Dazwischen kann man sich zu beliebigen Zeiten das sog. Messe-Cockpit ansehen, Auch das ist nichts Geheimnisvolles, sondern bezeichnet nur die graphisch aufbereitete Zusammenstellung der Ziel- und Istwerte und dem Grad der Zielerreichung oder auch -verfehlung mit einem Ampelsystem (rot: Ziel deutlich verfehlt, Gelb: Ziel knapp verfehlt, Grün: Ziel erreicht oder sogar übererfüllt.) Zweck des Cockpits ist es, sehr schnell, auf einen Blick zu erkennen, wo Zielerreichung gefährdet ist und gegengesteuert werden muss. Entweder noch im laufenden Projekt (z.B. bei Kostenhochlauf, spätestens zur Performance-Optimierung bei der nächsten Messebeteiligung. Für die Abbildung praktischer Anforderungen, bietet das Tool – über die reine Balanced Scorecard Funktionalität hinaus – noch ein paar Features, z.B. eine Useradministration, wo eingestellt werden kann, welcher Mitarbeiter Zugriff hat, wer nur lesen, wer auch Werte eingeben darf, man kann z.B. für bestimmte Präsentationszwecke Leistungskriterien ausblenden, kann Zoomen, in pdf exportieren etc.

2. Manche Event Manager meinen, der Balanced-Scorecard-Ansatz sei zu aufwendig. Was entgegnen Sie?
Die Meinung ist durchaus verbreitet, aber falsch. Das hat mehrere Gründe:
a) Leider wird dieses Instrument von vielen Dienstleistern – meiner Meinung nach durchaus bewusst – sehr akademisch und komplex aufgezogen. Wie soll man auch mit einem einfachen Modell viel Geld verlangen können? Wie mit einem Instrument, das der Kunde beim ersten Mal verstehen und dann selbst anwenden kann, Folgeaufträge bekommen? Alle Beratungsunternehmen, die ich zu diesem Thema als Anbieter kenne, wollen Berater und Beraterstunden als Geschäftsmodell verkaufen, aber nicht das Instrument. Das ist nur der Köder.

b) Die Balanced Scorecard Methode wurde entwickelt, um gewinnorientierte Geschäftseinheiten zu steuern. In vielen Fällen, die ich erlebt habe, wurde versucht, diesen Balanced Scorecard Ansatz unverändert auf Messen und Events zu übertragen, also nicht gewinnorientierte, sondern kostenfokussierte Projekte. Mit dem Ergebnis, dass verständlicherweise z.T. völlig unsinnige Ergebnisse heraus kamen. Schwarz-Weiß ausgedrückt: Danach wäre die (kurzfristig gewinnorientiert!) beste Messebeteiligung: sich gar nicht erst zu beteiligen, denn Kosten = 0 wäre vom Ansatz her der maximale Gewinnbeitrag. Natürlich Blödsinn. Man muss das Instrument in nur 1 – 2 Aspekten an das Thema „Messe/Event“ anpassen, dann ist dieser Fehler bereits vermieden und viele Missverständnisse würden ausgeräumt sein.

c) Die meisten Anbieter versuchen die Leistungen einer Messebeteiligung im Rahmen eines Balanced Scorecard Ansatzes miteinander zu verrechnen und einen Euro-Wert der Messebeteiligung zu bestimmen, der ausdrücken soll, wie gut die Messe für den Aussteller war. Auch das kann nicht seriös gemacht werden, denn wer immer sich mit dem Marketinginstrument Messe beschäftigt, weiß, dass es Messeziele gibt, die nicht in Geld ausgedrückt werden können. Wieviel Euro wäre denn z.B. Beispiel eine Besucherzufriedenheit von 1,8 auf einer 6er-Skala wert? Wieviel Geschäftswertbeitrag resultiert aus einer Bekanntheitsgradsteigerung auf der Messe um 2%? Usw. Um hier überhaupt etwas verrechnen zu können, werden dann dem Kunden komplexe, argumentativ nicht begründbare Formeln und Modelle entwickelt, die mit meist enormem Berechnungsaufwand gefüllt werden müssen; kein Wunder, dass dann der Eindruck entsteht, lieber die Hände von Balanced Scorecards zu lassen. Aber, um es nochmals hart zu sagen: Das ist Scharlatanerie und Vorgaukeln quasi-wissenschaftlichen Vorgehens und hat nichts mit Balanced Scorecards zu tun. Es liegt überhaupt nicht im Sinne der Methode, die einzelnen Leistungskennziffern zu vermengen und zu verdichten. Denn mit jeder Verrechnung/Vermischung von Daten, werden Informationen verloren. Der Balanced Scorecard Ansatz will aber genau das Gegenteil. Die einzelnen Leistungsdaten und Zielsetzungen interessieren, weil nur an der Quelle die konkreten Defizite identifiziert und verbessert/bereinigt werden können. Und ganz einfach ausgedrückt, ist das Balanced Scorecard Modell nur eine Systematik, die hilft, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren (die sog. Erfolgsfaktoren) und dort so frühzeitig wie möglich zentrale Leistungs-Sollwerte mit Istwerten abzugleichen und bei einer evtl. Zielverfehlung die Ursachen abzustellen. Ziel ist es, aus den getätigten Investments mehr Leistung heraus holen zu können. Mehr ist es einfach nicht. Ziel der Methode war und ist es, das Managen von Unternehmen, Unternehmensteilen und strategisch bedeutsamen Projekten einfacher, klarer und zielgerichteter zu machen, und das gerade mit weniger Aufwand!

d) Oft höre ich auch, dass Balanced Scorecards nur sinnvoll wären, wenn sie im gesamten Unternehmen eingeführt sind und von der Geschäftsleitung bis in die letzte operative Abteilung durchkaskadiert werden. Dass dieses dann sehr langwierig und komplex ist, ist klar. Nur in vielen Fällen glaube ich, dass dies eher eine Schutzbehauptung ist, um auf höhere Verantwortung zu verweisen oder als Begründung für eigenes Unterlassen. Jede Stelle in einem Unternehmen kann die Methodik im eigenen Verantwortungsbereich gewinnbringend anwenden, keiner muss auf andere warten.

e) Etwa 80% der Unternehmen, die mit Scorecards arbeiten, äußern sich äußerst zufrieden zu den Resultaten und ihren Erfahrungen.

f) Abschließend denke ich, dass der Eindruck eines komplexen, arbeitsintensiven Tools auch noch durch für Praktiker kaum brauchbare, sehr abstrakte und alleine schon von der Terminologie her eher verwirrende, nicht konsistente Literatur verursacht wird, die zudem meist in hoher Abstraktion verbleibt. Aus meiner Erfahrung heraus, ist die größte Herausforderung für Anwender, dass Sie klare Messeziele definieren müssen (aber wenn ich nicht weiß, wohin ich will, kann ich auch nie feststellen, ob ich angekommen bin). Aber wenn das klar ist, würde ich mir für jeden Kunden und für jedes Messeprojekt garantieren trauen – dass in max. einem Tag das Balanced Scorecard Zielsystem entwickelt ist – der Kunde 60 – 80% der Ziele und Leistungskriterien für andere Messeprojekte wieder verwenden kann – und er das beim nächsten Projekt auch schon selbst machen kann. Allerdings wollen wir auch keine Manpower verkaufen, sondern Lösungen, mit denen man einfach professionell arbeiten kann.

3. Welche Unternehmen aus der ausstellenden Industrie waren an der Entwicklung beteiligt? Und welche nutzen ihn heute zur Erfolgsmessung?
Das kann ich aus Vertraulichkeitsverpflichtung heraus nur vage beantworten. Beteiligt waren 6 Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen, von der Telekommunikation über Autozulieferindustrie und Automatisierung bis zu Chemie/Pharma. Mehrheitlich B2B. Die Nutzer beginnen bei einem ca. 20-Mann-starken Kleinunternehmen und gehen bis zum mehrere Zehntausend Mitarbeiter zählenden internationalen Konzern. Wichtig sind lediglich hinreichend investive Geschäftsmodelle bzw. Messe-/Event-projekte.

4. Was schätzen Sie: Wie viel Prozent der Aussteller messen den Erfolg ihrer Messeteilnahme (egal auf welche Art und Weise)?
Hierzu gibt es ja einige empirische Erkenntnisse, so dass die Schätzung nicht allzu verwegen klingt. Zunächst – und das kann ich aus meinen Projekten sagen, brauchbare, konkrete Messeziele finde ich in nicht einmal 10 Prozent der Fälle vor. Selbst die Auswahl der Messen, an denen man sich beteiligt, findet schon selten systematisch und fundiert statt. Eher „da waren wir schon immer“ bis „Da waren wir ja noch nie“. Wenn Ziele genannt werden, sind es meist eher allgemeine Absichtserklärungen und gemessen werden zumeist nur operative statistische Daten, die einfach zu gewinnen sind, z.B. wie viele Leads generiert wurden, wie gut die Messe insgesamt besucht wurde, wie viele Weißwürste und Glas Bier konsumiert wurden, wie der Vorstand den eigenen Messestand fand, etc. Was dann aber beispielsweise nach der Messe aus den Leads wird, wie viel Zeit vergeht, bis der Außendienst das Follow-up durchführt (und ob überhaupt), und mit welchen Resultaten, das wird schon oft nicht mehr nach verfolgt. Also irgend etwas „messen“ schon die meisten Aussteller, nur vieles davon bezieht sich nicht auf die Wirkung der Messebeteiligung/des Events auf den Besucher oder gar auf die Bestimmung eines Messe-ROI und ist daher ungeeignet oder reines Alibi.

5. Warum messen die anderen XX Prozent nicht?
Zum einen fehlen klare Ziele. Wer aber keine Ziele formuliert hat, kann schlecht gezielt etwas messen. Zum zweiten kosten manche Messungen auch Geld (z.B. Standbesucherbefragungen). Doch die Zeiten, in denen so eine Befragung gleich mehrere Zehntausend Euro gekostet hatte, sind vorbei. Wer sich heute einen Messeauftritt leistet, der kann sich so eine Befragung i.d.R. auch leisten. Ein dritter Grund ist fehlende Verbindlichkeit im Unternehmen. Warum soll ein Messemanager seine Leistung objektiv analysieren, wenn die Geschäftsleitung das nicht fordert? Das tun nur diejenigen, deren Anspruch an die eigene Arbeit von hoher Professionalität und substantieller Tiefe geprägt ist. Und das ist nicht die Regel. Das zeigt schon die Praxis der Messestände: Die meisten Stände sind messebaulich und vom Design her top gemacht – doch die Marketingleistung, die kommunikative und kompetitive Wirkung der Stände ist zu 80-90% erschreckend mangelhaft (vgl. Ergebnisse der PerMess-Studie mit ca. 380 Messeständen; m+a-report 7/09). Es sind kaum differenzierende Botschaften zu erkennen, die einen Besucher veranlassen könnten, stehen zu bleiben, ihn in einen Stand hinein zu ziehen oder ein Gespräch suchen lassen würden. Selbst das Reizwort „Neu“ haben wir nur 12 mal gefunden. Unter investorischen, unternehmerischen Gesichtspunkten wäre es aber wichtig, das der Messestand gut „arbeitet“, wenn er dann auch noch schön ist – umso besser. Aber nur schön sein, ist einfach zu wenig.

6. Es scheint, als ob der Return on Investment (ROI) von Kongressen und Events (noch) seltener gemessen wird als von Messen. Was glauben Sie, woran das liegt?
Kongressteilnahmen sind normalerweise schon mal deutlich weniger kostenintensiv, als Messebeteiligungen. Wo weniger Geld im Spiel ist, besteht meist auch weniger Sensibilität bzgl. der Maßnahmen. Bei Events (z.B. Kundentagungen) besteht ein großer Unterschied darin, dass man da meist genau weiß, wer als Teilnehmer da ist, wie viele gekommen sind. Dieses Wissen ist auf einer Messe nicht a priori vorhanden, da muss man die Leute schon mal fragen. Zum zweiten hat man die Besucher dort exklusiv, ohne Mitbewerber. Auch das verführt dazu, weniger zu messen, da die unmittelbare Vergleichbarkeit (und damit kompetitive Unsicherheit) nicht gegeben ist. Zudem fehlt bei Kongressen und Events auch häufig die produktintensive und teure Ausstellungskomponente, es steht entweder die reine Wissensvermittlung, der informative Austausch, der Dialog, die Beziehungspflege im Vordergrund und/oder, dass der Besucher sich emotional wohlfühlen soll. Angemessenes Entertainment und Catering stehen da im Vordergrund, und ob’s schmeckt, kann man ohne große Messung feststellen.


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