22.07.2025 - Problem Standdienst – warum eigentlich?
Seit Gründung des IRKU-Instituts vor über 20 Jahren haben wir als Besucher auf Fachmessen und im Rahmen von Studien und Kundenprojekten bei Messen von Moskau bis Houston und von Stavanger bis Abu Dhabi sicherlich Hunderte von Gesprächen mit Standdienstmitarbeitern geführt. Neben den äußerst spannenden interkulturellen Unterschieden (was bei internationalen Messen die Kompetenz deutscher Standdienstmitarbeiter zusätzlich limitiert), hat uns bevorzugt bei den im weltweit immer noch führenden Messestandort Deutschland die Performance der Standdienstmitarbeiter interessiert. Und die Erfahrungen waren in Summe leider nicht überzeugend…
Eine unserer Studien mit über 267 Fachmessen aus 10 Branchen ergab, dass statistisch zwar knapp 72% der Standdienstmitarbeiter Blickkontakt haben, aber jeder Dritte dennoch völlig passiv bleibt, wenn der Besucher den Messestand betritt. Oder er sieht sogar bewusst weg (Gesprächsvermeidung?) bzw. bemerkt den Besucher überhaupt nicht (Handy, Laptop, Kollegengespräch, etc.). Zudem warten 9 von 10 Standdienstlern, ob ein Messebesucher den Stand betritt; nur jeder 10. spricht Passanten bzw. interessierte Stehenbleiber vom Stand aus im Gang an. Im Gangbereich selbst wird so gut wie keiner aktiv (was in USA, Asien oder Indien ganz normal ist!). Unsere krassesten Erfahrungen: auf einem ca. 1000qm! großen Messestand eines Kunden auf einer in München stattfindenden internationalen Umwelt- und Entsorgungsmesse wie auch auf dem ca. 800qm doppelstöckigem Stand eines bekannten deutschen Energieunternehmens auf einer „Weltleitmesse“ in Hannover! Wir hielten uns am Vormittag bei noch geringer Besucherdichte eine Stunde auf dem jeweiligen Stand auf, gingen mehrfach darin herum und bewusst bis etwa 1 Meter an Standdienstmitarbeitern vorbei, interessierten uns für Exponate und setzten uns sogar in die Bewirtungszone (wo wir auch bewirtet wurden!) ohne, dass wir auch nur ein einziges Mal vertrieblich kontaktiert worden wären. Das ist – gelinde gesagt – besucherignorant und eine arbeitgeberschädigende Arbeitsverweigerung.
Ganz so schlimm ist es glücklicherweise selten, aber wirklich gut ist das Kontakt- und Ansprechverhalten vom Standdienst ebenso selten. Alleine die ebenso beliebte wie banale und ungeschickte, da geschlossene Ja-Nein-Frage „Kann ich Ihnen helfen?“ ist offensichtlich unausrottbar. Auch mit verschränkten Armen am Standrand stehend auf Besucher warten ist ein gängiger Fehler. Noch schlimmer natürlich, wenn die Aufmerksamkeit überhaupt nicht auf potenziell am Stand interessierte Besucher gerichtet ist, ein Standzutritt nicht bemerkt wird oder zu keiner Kontaktaktivität führt. Immer wieder zu beobachten ist auch, dass zwei oder mehr Standdienstmitarbeiter in ein intensives Gespräch untereinander vertieft sind, oder gerade dem Tagesgeschäft am Handy nachgehen oder am Notebook gearbeitet wird – Besucher sollte man offensichtlich einfach nicht überbewerten…
Was hier in allen Fällen deutlich fehlt, ist ein messespezifisches rhetorisches und verhaltensorientiertes Training der Standdienstmitarbeiter, aber auch ein weisungsbefugter Standleiter, der solcher Art Fehlverhalten erkennen kann, umgehend moniert und abstellt.
Aber selbst, wenn ein Gespräch zustande kommt, ist die Dialogkompetenz oft zu schwach. Zum einen beschränkt sich die Aussagefähigkeit oft nur auf die Exponate, für die der Standdienstmitarbeiter eingeteilt/zuständig ist, Auskunftsfähigkeit zu anderen Exponaten und Leistungen des ausstellenden Unternehmens – insbesondere bei größeren Messeauftritten/Unternehmen – ist eher die Ausnahme. Was die meisten im Gespräch gut können, ist das Aufzählen von Produktmerkmalen und technischen Spezifikationen. Schwierig wird es dagegen häufig, wenn man nach dem Kundennutzen eines Produkts fragt. Die Leistungsaufnahme oder Nenndrehzahl eines Antriebs sind eben Produktmerkmale und keine Kundennutzen, wie vielleicht die Senkung bisheriger Energiekosten von x% durch den neuen Antrieb. Noch dünner wird die Luft bei der – zugegebenermaßen sehr unlauteren – Frage, was das Produkt des ausstellenden Unternehmens von den in der Regel auf der Messe mehrheitlich vorhandenen gleichartigen Produkten der Mitbewerber unterscheidet bzw. – noch unfairer – weshalb man sich für einen Kauf des angepriesenen Produkts und damit gegen alle Mitbewerberalternativen entscheiden sollte. Die Chance, dafür stichhaltige Argumente geliefert zu bekommen statt banaler Generika wie „Qualität“, „Tradition“, „Internationalität“, „Made in Germany“ etc. ist leider extrem hoch, so unsere über Jahre gemachten Erfahrungen. Auch hier müsste zur Defizitbehebung eine konsequente inhaltliche Standdienstschulung vor einer Messe bzw. ein grundsätzlich auf Argumentationsfähigkeit ausgerichtetes Standdiensttraining erfolgen.
Was uns – insbesondere bei deutschen Standdienstmitarbeitern – auch auffällt, ist eine Gesprächsbeendigung, bei der keine Verbindlichkeit hergestellt wird. Vielleicht tauscht man Visitenkarten aus, füllt ein Formular als Gesprächsprotokoll/Leadsheet aus (möglichst viele ist bei Ausstellern oft eine – qualitativ untaugliche – Maßgröße für eine erfolgreiche Messebeteiligung!), clipst eine Visitenkarte dran und vermerkt evtl. noch eine Follow-up-Aktion (z.B. Infomaterial zusenden, Außendienst soll kontaktieren o.ä.), die, dann gesammelt, meist von einer anderen Abteilung im Unternehmen in den Wochen nach der Messe weiterbearbeitet oder an den zuständigen Außendienst weitergeleitet wird. Das dauert zu oft so lange, bis der Kontakt ohnehin bereits erkaltet ist (auch das haben wir getestet, Rekord war Erhalt am nächsten Tag, Schnitt war 2-3 Wochen, in etwa 10% erhielten nichts). Das Gespräch mit einem geschäftsversprechenden Kontakt mit Verbindlichkeit zu beenden, kann man von Amerikanern lernen, die vermutlich darauf bestens geschult werden. Sie zücken sofort ihren Kalender: „Oh, I see, I will be in your region in two weeks by accident, when do you have time, I would make it possible to see you and talk about the next steps, so you don’t lose any time to realize your possible improvements…!“ … und in der Regel klappt das auch mit einem Folgetermin.
Abschließend für diesen Beitrag soll noch darauf hingewiesen werden, dass ein guter Standdienstmitarbeiter hauptsächlich gezielte Fragen stellt (wer fragt, steuert ein Gespräch), dann konzentriert der Antwort zuhört und nicht – wie gerne praktiziert – den Besucher ohne Fragebezug von oben bis unten zutextet und ihm damit bestenfalls auf die Nerven geht. Zudem sollte er spätestens nach einer Minute eloquent (also nicht in Verhörmethode!) in Erfahrung gebracht haben, wer der Besucher/Gesprächspartner ist, von welchem Unternehmen er kommt, welche Funktion er hat, was sein konkretes thematisches Interesse auf der Messe bzw. für den Standbesuch ist und ob er bzw. sein Unternehmen bereits Kunde des ausstellenden Unternehmens ist.
Müßig zu sagen, dass man auch hier weniger auf ein angeborenes Talent setzen sollte, sondern auf systematisches Training adäquater Leitfragen.